Kernfusion gilt als potenziell bedeutende Ergänzung im Energiemix der Zukunft. Doch wie, wann und ob sie überhaupt Teil der Lösung bei der Energiewende sein kann, ist umstritten. Die drei größten Vorteile der Kernfusion liegen auf der Hand: Bei ihrer Nutzung werden keine Treibhausgase freigesetzt. Es werden keine langlebigen radioaktiven Abfälle erzeugt. Zudem liefert diese Form der Energieerzeugung den Strom stabil und unabhängig vom Wetter.

Damit unterscheidet sich die Kernfusion grundlegend von der Kohle- und Ölverstromung, der Kernspaltung sowie der Wind- und Solarenergie. So ein Fusionskraftwerk, das dauerhaft und zuverlässig Strom liefert, klingt verlockend. Seine Wirkungsweise würde es zu einer idealen Ergänzung für erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie machen, die naturgemäß schwankend einspeisen. Fusionsenergie könnte somit helfen, die Grundlastfähigkeit des Stromnetzes zu sichern und die Resilienz des Energiesystems insgesamt zu erhöhen.
Überschüssige Energie aus Fusionskraftwerken könnte zudem für sog. PtX-Anwendungen („Power-to-X“) genutzt werden. Diese Lösungen, wie etwa für die Wasserstoffproduktion, wandeln überschüssige elektrische Energie in andere Energieformen um, die dann bei Bedarf wieder zur Verstromung oder zum Heizen eingesetzt werden können. Das hilft auf jeden Fall, um die Sektorenkopplung und Energiesouveränität zu stärken.
Doch die Experten streiten sich, wie weit der Weg zum Ziel noch ist und ob es nicht ein Irrweg sei. Werfen wir also mal einen Blick auf die Fakten und die jüngsten Fortschritte. Die gute Nachricht zuerst: Anders als bei vielen anderen Zukunftstechnologien ist Deutschland bei diesem Thema weit vorne mit dabei. Die weniger gute Nachricht laut Einschätzung vieler Experten: Trotz zahlreicher Fortschritte befindet sich die Kernfusion weiterhin im Stadium der Forschung und Entwicklung, was auch noch für einige Zeit so bleiben soll.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Bislang gibt es keine Anlage, die mehr Energie erzeugt, als sie für ihren Betrieb benötigt, geschweige denn Strom ins Netz einspeist. Die Führungsrolle bei Forschung und Entwicklung zur Kernfusion hat in Deutschland das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) inne. Es betreibt den ASDEX Upgrade in Garching und den WENDELSTEIN 7-X in Greifswald. Beide Anlagen zählen zu den international führenden Fusionsanlagen.
Der ITER-Reaktor in Frankreich ist derzeit das weltweit fortschrittlichste Fusionsprojekt. Er soll die technische Machbarkeit eines Fusionskraftwerks demonstrieren, wird aber selbst noch keinen Strom erzeugen. Bis 2034 will man damit auf Basis des Brennstoffs Deuterium-Tritium Plasma herstellen. Doch erst der Nachfolge-Reaktor DEMO soll dann tatsächlich auch Strom ins Netz einspeisen. Somit erscheint die zeitliche Prognose des Fraunhofer-Instituts zunächst durchaus realistisch:
„Ein Einsatz der Fusionsenergie ist frühestens ab 2050 realistisch.“
Fraunhofer-Gesellschaft e. V., Positionspapier zur Bundestagswahl 2025, „Die Rolle der Kernfusion im Energiesystem der Zukunft“, München 2024, S.1
Ob dieser Zeithorizont wirklich so zutrifft, wird sich zeigen. Denn erinnern wir uns: Wer hat 2019 schon korrekt vorhergesagt, dass die COVID-19-Pandemie den sog. mRNA-Impfstoffen ein Jahr später so plötzlich zum Durchbruch auf breiter Front verhelfen würde? Wer hat 2021 schon korrekt prophezeit, dass seit 2022 KI-Chatbots wie ChatGPT unser Arbeitsleben und vieles mehr so radikal verändern würden? Es gibt genügend Beispiele für technologische Entwicklungssprünge, die am Ende viel schneller vonstatten gingen als erwartet.
Zudem forschen weltweit namhafte Forschungszentren und Universitäten mit Hochdruck an diversen Fusionsprogrammen. Der zunehmende Wettbewerb zwischen den USA, Großbritannien, EU-Ländern wie Frankreich und Deutschland, China, Japan, Südkorea, Russland, Kanada, Australien, Brasilien und weiteren Ländern treibt die Entwicklung der Fusionsforschung immer dynamischer voran.
Immer mehr Geld für den schnelleren Schritt zur Marktreife
Ein starkes Indiz für eine schnellere Entwicklung könnte neben viel Grundlagenforschung, die von zumeist von staatlich finanzierten Akteuren betrieben wird, auch der aktive Einstieg privater Investoren sein. In Deutschland gibt es mit Proxima Fusion aus München – einer Ausgründung des IPP, Focused Energy aus Darmstadt, Gauss Fusion aus Garching bei München und Marvel Fusion ebenfalls aus München beispielsweise gleich vier sehr interessante Kernfusion Startups.
Nicht umsonst investieren große globale VC-Unternehmen („Venture Capital“) wie Tekamek, Lakestar, Capricorn und weitere hohe Summen in das mögliche neue Geschäftsmodell. So hat Proxima Fusion jüngst 130 Mio. Euro in einer Serie-A-Finanzierungsrunde eingesammelt. Die Gesamtfinanzierung des Startups beläuft sich damit auf über 185 Mio. Euro an privatem und öffentlichem Kapital. Die Deutsch-Amerikaner von Marvel Fusion, bei denen auch Siemens Energy investiert ist, verfügen sogar über eine Gesamtfinanzierung von 385 Mio. Euro.
„Eine Reihe großer, namhafter Unternehmen investiert in Fusionsenergie Startups.“
Stephan Ruehl, Michael Kruse, Lars Ole Nowak, Artur Korinski, Alina Simon, Maxim Rud, in: „Unlocking Fusion Energy“, Arthur D. Little, 2025
Die Unternehmensberatung Arthur D. Little hat in einer aktuellen Studie weltweit 47 Fusions-Startups identifiziert, die sich in unterschiedlichen Reifegraden und Finanzierungsstufen befinden. Insgesamt konnten die großen Fusionsforschungsprojekte bislang über 34 Mrd. Euro (37 Mrd. Dollar) an öffentlichen Mitteln einwerben. Allein bis 2024 investierten private Geldgeber zudem nochmals mehr als 6,6 Mrd. Euro (7,1 Mrd. Dollar) in die besagten 47 Kernfusion Startups.
Fast alle deutschen Kernfusion Startups verfolgen wohl auch deshalb zeitlich wesentlich ambitioniertere Ziele als die Fraunhofer-Prognose. Proxima Fusion will mit seinem STELLARIS-Reaktor schon in den 2030er Jahren Strom liefern. Focused Energy will bis etwa 2037 ein Laserfusionskraftwerk in Biblis in Betrieb nehmen. Marvel Fusion hat sich als Ziel für einen kommerziellen Fusionsreaktor das Jahr 2040 als Ziel gesetzt. Nur Gauss Fusion liegt mit seiner Zeitprognose von 2045 in etwa auf einer Linie mit der Fraunhofer-Vorhersage.
Das Prinzip: Tokamak, Stellarator oder Laserfusion?
Die Technologieansätze, die von den Forschungseinrichtungen und Startups verfolgt werden, um zum Ziel zu kommen, sind verschieden. Generell lassen sich zwei verschiedene Hauptansätze unterscheiden: Am weitesten verbreitet sind Modelle mit einem magnetischem Einschluss des Plasmas (MFE) und solche mit einem Trägheitseinschluss des Plasmas mit Laserfusion (IFE).
Ein sog. „Tokamak“ ist beispielsweise eine Bauart von MFE-Kernfusionsreaktoren, bei denen das Plasma magnetisch eingeschlossen wird, wobei elektrischer Strom durch das Plasma fließt. Der bereits erwähnte ITER-Reaktor in Frankreich oder auch der ASDEX Upgrade in Garching arbeiten nach diesem Prinzip. Ein sog. „Stellarator“ arbeitet ebenfalls mit Magneteinschluss, ohne dass dabei jedoch Strom durch das Plasma fließt. Der ebenfalls bereits erwähnte WENDELSTEIN 7-X und auch der STELLARIS-Reaktor von Proxima Fusion sind Beispiele dafür.
„Die Fusion ist zu einer echten, strategischen Chance geworden, die globale Energieabhängigkeit von natürlichen Ressourcen auf technologische Führung umzustellen.“
Francesco Sciortino, CEO und Mitgründer von Proxima Fusion, 2025
Andere Akteure wie zum Beispiel die National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien oder Focused Energy setzen hingegen auf das Konzept des Trägheitseinschlusses des Plasmas mit Laserfusion, kurz die sog. „Laserfusion“. Dabei werden in IFE-Kernfusionsreaktoren winzige Brennstoffkügelchen mit Laserpulsen so stark komprimiert und erhitzt, bis die Kernfusion wie in einem Stern zündet.
In beiden Fällen erfolgt die Fusion durch eine Verschmelzung von Deuterium- und Tritiumkernen zu Helium, wobei ein Neutron und Energie freigesetzt werden. Die Neutronenenergie wird im sog. „Blanket“ (Brutmantel) in Wärme umgewandelt und über Dampfturbinen in Strom transformiert. Auf jeden Fall arbeiten genügend Experten mit Hochdruck daran, dass sich eines der Konzepte umsetzen lässt. Die Frage aller Fragen lautet letztlich also eher nicht ob, sondern bis wann die Technologie kommerziell nutzbar sein wird.
